Das Handy ist weg. Die Nerven liegen blank. Ein Hürdenlauf beginnt: Eine Katastrophe jagt die nächste. Ist euch auch schon mal so etwas passiert? Dann ist dieser Text für euch!

Von nun an bin ich der Wildnis des Lebens komplett ausgeliefert. Der ultimative Überlebenskampf hat begonnen. Er hat in der U-Bahn begonnen, in dem Moment, in dem ich gemerkt habe, ich bin smartphonelos unterwegs. Smartphonelos! Mein Handy ist nicht hier, sondern in meinem auf ‚Park & Ride‘ abgestellten Auto. Ich bin mittlerweile kilometerweit davon entfernt. Mit jeder U-Bahn-Station wird die Entfernung immer größer… Ich bin nur auf mich selbst gestellt. Ohne meine vier treuen Satelliten, ohne Ortungssysteme, ohne Telefonjoker. Ohne Kamera. Ohne meine schönsten Fotoerinnerungen. Ohne E-Mails, Notizen, ohne meinen Kalender und ohne Taschenlampe. Schutzlos. Kontaktlos. Orientierungslos. Verwirrt… Mein Atem stockt und ich fange an zu schwitzen. Werde ich es schaffen?
Ich muss an den Survival-Profi Bear Grylls denken, wie er im Rückwärtssalto aus dem Helikopter hüpft, nur mit einem Messer, einem Becher und 30 Meter Seil im Gepäck, der Wildnis Kolumbiens wehrlos ausgesetzt… Werde ICH es schaffen, Bear?
Smart ohne Smartphone? Handylos unterwegs.
Wie soll ich nun von A nach B kommen? Woher soll ich wissen, wie lange ich dafür brauche. Und wo bitte sehr ist das B denn überhaupt?! Mein Nachwuchs sitzt bestimmt schon unterkühlt vor der Haustüre, weil ich den Anruf, dass das Kind gerade zweieinhalb Mal gehustet hat und nun abgeholt werden muss, DEN Anruf habe ich nicht annehmen können. In unserem Fall könnte es wirklich noch deutlich schlimmer kommen. Vielleicht ist unsere Tochter mit dem Angelman Syndrom bereits unterwegs in ein Krankenhaus. Ganz alleine. Niemand zum Händchenhalten da. Niemand, der Auskunft geben kann. Ich stelle mir vor, wie die Polizei auf einmal vor mir steht und fragt: Sind sie Frau Hannemann, Mutter von Hela und Emil? Haben Sie etwa ihr Handy vergessen und fahren hier munter vor sich hin U-Bahn, während das eine Kind vor der Haustür unterkühlt sitzt und das andere ins Krankenhaus gefahren wird?!
Ich atme ein paar Mal ein uns aus. Es fällt mir wieder ein, dass da noch der Vater der Kinder und mein Ehemann existiert und höchstwahrscheinlich telefonisch erreichbar ist – auf der Arbeit. Er ist eigentlich auf der Arbeit immer erreichbar. Also vielleicht schaffen wir es ohne Polizeieinsatz. Ich könnte ihm theoretisch Bescheid geben, wenn ich es je geschafft hätte, mir seine Rufnummer zu merken.

Soll ich aussteigen und zurückfahren und dann erneut die gleiche Strecke fahren? Das würde den Termin in der Stadt überflüssig machen, denn dann komme ich 1,5 Stunden zu spät. Das wird auffallen. Was sagt der Überlebensexperte: Gib niemals auf! Glaub an dich! Ich schaffe es. Ich schaffe es. Ich schaffe es!
Mein Mobil Device – komplett unmobil
Ich bleib in der U-Bahn sitzen und fahre weiter, immer weiter… Neben mir tippen alle auf ihren Handys rum. Alle lesen auf ihren Smartphones, chatten mit der Familie, organisieren und arbeiten an ihren Mobile Devices. Mein Mobile Device ist gerade total unmobil und damit wurde ich zu einem Außenseiter. Ich hole aus meinem Rucksack einen Schreibblock und einen Kugelschreiber und will diesen Text hier aufschreiben. Per Hand. Der junge Mann neben mir schaut auf mich, als wäre ich Santa Claus… Ich werfe mir meinen karierten Schal theatralisch um den Hals und mache auf Künstler. Der junge Mann schaut skeptisch auf meinen Block – da stehen Notizen aus einem anderen Seminar mit einer dicken Überschrift: die Rentenlücke… Ich drehe ihm meine Schulter zu und fange auf dem nächsten Blatt an zu schreiben…
Just als ich die erste Zeile heruntergeschrieben habe, fällt mir noch eine weitere Sache ein, die ich ohne mein Handy nicht dabei habe: meinen Impfnachweis. (Hier lang zu meiner Best-of-Corona-Liste) Der muss vor Beginn des Seminars zwingend vorgezeigt werden…
Gib niemals auf!
‚Gib niemals auf!‘, flüstert der Surivival-Experte Bear in mein linkes Ohr, ‚Im Überlebenskampf ist es wichtig, einfach immer weiterzumachen.‘ So mache ich von nun an einfach bloß immer weiter. Eine Hürde nach der nächsten. Nachdem ich es verspätet zu dem Workshop schaffe (wo ist B denn bitte sehr?), die Einlasskontrolle mit dem festen, schriftlich bekräftigten Versprechen des Nachschickens des Impfnachweises positiv bestehe, wird mir auf dem Nachhauseweg klar, dass ich es nie rechtzeitig schaffen werde, meinen Sohn von der Schule abzuholen. Ausnahmsweise soll er nicht mit den anderen in den Hort gehen, sondern vor der Schule auf mich warten, denn ein Arzttermin steht an, zu dem wir im Anschluss fahren sollen. Mein Plan, bei Verspätung meinen Mann mit dem Abholen zu beauftragen, kann nicht aufgehen! Eine U-Bahn ausgefallen, die nächste U-Bahn paar Minuten später und da sitze ich auf glühenden Kohlen und überlege, wie ich meinen Ehemann, der bereits zu Hause ist, davon in Kenntnis setzen kann, dass unser Kind auf mich vor der Schule wartet und von mir NICHT rechtzeitig abgeholt wird.
Handylos. Eigentlich frei und doch gerade nervlich am Ende. Auch der Sprint von der U-Bahn zum Auto kann die verlorenen Minuten nicht zurückdrehen, die eine kleine Lawine von Ereignissen ins Rollen bringen… Nein, eigentlich ist nichts Schlimmes passiert. Unser Kind findet sicher nach Hause, alle Institutionen werden eigentlich zu spät, aber doch noch im akzeptablen Rahmen benachrichtigt. Eigentlich ist nichts Großes passiert. Trotzdem bin ich am Abend fix und fertig. Ich verspreche mir, nie, nie, NIE wieder mein Handy zu vergessen. Ich will erneut versuchen, mir die Rufnummer von meinem Ehemann einzuprägen. Oder zumindest unsere Festnetznummer. Ich MUSS sofort – auf der Stelle – damit anfangen. Nur, wo ist denn bloß mein Smartphone? War es nicht eben noch auf dem Couchtisch? Nein, nein, kein Grund gleich panisch zu werden: diesmal kann ich mich ja selbst anrufen, ha! Es klingelt bloß nirgendwo… Außer… Es ist immer noch im Auto….
Falls euch gerade auch das Gleiche passiert, könnt ihr gerne meinen Beitrag teilen… Beziehungsweise, wenn ihr das Handy wieder findet;)

Es ist Freitag, der 23. Dezember, ein grauer und unangenehm kühler Tag und ich renne gerade einem Krankenwagen hinterher. Sogar auf den Straßen von unserem kleinen Ort ist Einiges von dem Weihnachtstrubel zu spüren. Der Krankenwagen kommt durch die einzigen zwei größeren Kreuzungen auch mit Sirene nicht besonders flott durch. Zum Glück, denn so kann ich mithalten. Ich weiß, dass er zur Praxis von unserem Kinderarzt fährt, um von dort meine Tochter ins Krankenhaus zu bringen. Sie hatte in der Praxis erneut einen langen epileptischen Anfall. Der Papa ist bei ihr, aber ich will unbedingt mitfahren. Deswegen renne ich. Zum Umziehen war nach dem telefonischen Update von meinem Mann keine Zeit. Wie gut, dass ich heute nicht die furchtbare Schlabberhose angezogen habe, die ich trotz der skeptischen Blicke meines Ehegatten doch ab und zu mal zuhause trage.
Wegen Helas Schlafstörung wurde uns eigentlich ein Einzelzimmer zugesprochen. Es ist aber ganz schön was los einen Tag vor Weihnachten und so landen wir doch mit einem anderen Jungen und seiner Mutter im Zimmer. Das Kind ist in Helas Alter. Es rennt fröhlich hin und her, ruft „Mama“ und sonst auch einzelne Wörter in einer mir unbekannten Sprache. Der Junge ist wegen Fieberkrämpfe hier. Mir ist überhaupt nicht nach Krankenhaus-Smalltalk und Erklärungen zu Helas Syndrom. Keine Lust auf die mitleidigen Blicke, auf „Oh, wie furchtbar, das tut mir leid…“ und auch nicht auf die Vergleiche, die auf „Da können WIR uns ja gar nicht beschweren“ hinauslaufen. Glücklicherweise ist der anderen Mutter auch nicht nach Reden. In der Nacht werden wir mit Hela immer wieder von den lauten Rufen des Jungen geweckt. Er redet im Schlaf und zwar in der Lautstärke, die einen Toten geweckt hätte und auf jeden Fall ein schlafgestörtes Mädchen und dessen Mutter.







