Energie geht nie verloren, heißt es in der Physik… In was, frage ich mich dann, wurde die Energie umgewandelt, die unsere Physiklehrerin darauf verwendet hat, uns die Gesetze ihres Fachs in die Köpfe rein zu hämmern? Was passiert mit der Energie, die die Lehrer in die Wissensvermittlung reinstecken? Und was bleibt hängen, so nach 20 Jahren?
Unsere Physiklehrerin sah wie Kopernikus in blond aus und war eine eher stille Person. Vielleicht lag das daran, dass sie eine piepsige Stimme hatte, die es ihr im Studium mit Sicherheit nicht leicht gemacht haben muss. Hatte sie keinen Grund zum Reden, hat sie gerne geschwiegen. Wir, die Schüler, haben uns auch nicht darum gerissen, eine Antwort auf ihre Fragen zu geben. Es herrschte Stille in unserem Physikraum…
Der Raum an sich war furchteinflößend: an den Wänden hingen Poster mit Bildern und Formeln, bei denen wir alle eine Vermutung hatten, dass wir sie eigentlich verstehen sollten. Um unangenehme Fragen nicht zu provozieren, haben wir versucht, die Poster möglichst nicht anzuschauen. Es gab ein paar Exponate, hauptsächlich aus Metall, dessen Zweck sich uns auf Anhieb nicht erschlossen hat. Anfassen durfte man sie nicht.
Generell war unser Physikraum umhüllt von einer Aura der Abstraktheit. Imaginäre Kräfte wirkten sich auf imaginäre Objekte aus. Widerstand wurde nicht geleistet, sondern berechnet und der Strom versteckte sich hinter trockenen Formeln und in der Steckdose. Die Tafel war unser Experimentierfeld.
Was die Inhalte angeht, kann ich mich auch nach 20 Jahren an zwei Sachen noch ganz genau erinnern:
Erstens: E = mc²
Zweitens: Es war und ist mir vollkommen Wurscht, wo sich diese zwei verdammten Züge treffen, von denen der eine vom Punkt A mit Geschwindigkeit X km/h losfährt und der andere vom Punkt B mit der Geschwindigkeit Y km/h! Was mich beschäftigt hat, war schon immer die Frage, wer sitzt denn in diesen Zügen und warum? Wo fahren die Personen hin und was ist ihre Geschichte?
Ich kann mich erinnern, dass mich diese Fragen bei der Klassenarbeit nicht sehr weit gebracht haben – zur großen Verzweiflung von meinem Vater (einem Physiker), der mir die Aufgabenstellung abermals erklärt hat. Es tut mir sehr leid um die ganze Energie, die dabei im Universum verschwand…
Nach der Aufgabe mit zwei Zügen gefragt, antwortete mein Mann unbeeindruckt: „Die war leicht“. Scheinbar kam die Energie, die bei mir entwichen ist, bei ihm mit doppelter Stärke an, denn er kann sich noch an recht viele Inhalte aus seinem Physik-Unterricht erinnern. Was ihm am besten in Erinnerung geblieben ist? Einmal musste er in seinem Physik-Leistungskurs Raketen basteln. Die Flugbahn sollte berechnet werden und auch wie viel Treibstoff die Rakete auf ihrem Flug zum Mond verbrauchen würde. Anschließend wurden die Raketen auf dem Schulhof abgefeuert. „Naja, zum Mond haben wir es nicht geschafft aber bis zu den Mädels, die auf dem Hof Sportunterricht hatten, hat es gereicht, hehe…“, erzählte er mit einem verschmitzten Grinsen.
Und wie sieht das bei euch aus? Wenn ihr an euren Physikunterricht zurückdenkt: lächelt ihr da oder krampft der Bauch?
Das Thema entstand im Gespräch mit Agnieszka Spizewska, Gründerin des Vereins Little Lab – Wissenschaft für Kinder e.V. , der sich dafür einsetzt, dass auch nach 20 Jahren die Begeisterung für Naturwissenschaften, Informatik und Mathe erhalten bleibt.
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