Über die Kita

Seit Neustem bin ich echt erwachsen geworden – ich gehe jetzt in einen Kindergarten! Also genauer genommen in eine Kinderkrippe. Es gibt da unzählige Kinder. Mindestens 8 oder so. Die bewegen sich alle sehr schnell in verschiedene Richtungen und machen total viele Sachen, oft gleichzeitig. Deswegen passiert ständig etwas und an jeder Ecke gibt es Spannendes zu entdecken und zu machen. Ich bin dabei, auch wenn nicht so schnell wie die anderen, natürlich. Das ist aber schon o.k. so. Ich stand noch nie auf hohe Geschwindigkeit.

Vor der Krippe

In der Krippe singen wir viel. Jeden Tag. Natürlich nicht nur die Kinder, sondern vor allem die Erzieherinnen, denn die gibt es dort auch. Sie können sehr viele Lieder singen, super in die Hände klatschen und mit den Füßen stampfen. Und kuscheln. Oh, wie sie kuscheln können! Ich mache meistens eine Kuschelrunde zur Begrüßung – denn „Hallo“ kann ich ja noch nicht sagen  – und eine zum Abschied, um „Tschüss“ zu sagen. Zwischendurch mache ich natürlich auch immer wieder mal ein kurzes Power-Kuscheln, um in dem ganzen Trubel wieder mein Gleichgewicht zu finden. Was das Kuscheln angeht, kriegen die Erzieherinnen von mir 10 Punkte! Das können sie beinahe so gut wie meine Mama.

Meine Mama geht jetzt auch in die Krippe und dazu in die gleiche wie ich! Das könnte so schön sein, mit uns beiden dort. Leider verschwindet sie wieder nach einer Weile und es dauert lange und immer länger, bis sie wieder auftaucht. Das finde ich total blöd, das möchte ich an dieser Stelle ganz klar sagen! Meine Mama und ich, wir gehören einfach zusammen. Für immer. In jeder Minute. An jedem Ort. Tag und Nacht. Ich habe festgestellt, dass Menschen manchmal auch alleine anzutreffen sind. Erwachsene zumindest. Mag sein, dass man als Erwachsene schon alles selbst machen kann und man seine Mama nicht rund um die Uhr braucht. Aber wenn man erst seit kurzem so erwachsen ist, wie ich jetzt, dann braucht man sie auf jeden Fall. Meine Mama liest mir meine Wünsche von den Augen ab und spricht sie für mich aus – denn sie ist mein Kopf. Sie trägt mich, denn Mama – das sind meine Beine. Sie gibt mir verschieden Sachen zum Spielen, zieht mich an, wäscht mich und füttert mich, denn Mama – das sind meine Hände. Und jetzt könnt ihr euch ausmalen, wie es sich anfühlt, wenn sie einfach weggeht. Oder würde es euch etwa gefallen, wenn ihr plötzlich euren Kopf, eure Beine und eure Hände weglaufen seht?

Aber gut, wenn man schon irgendwo darauf warten muss, dass die Mama wieder da ist, dann ist die Krippe ein ganz schöner Ort dafür. Ich bin gerne dort.

Die Mahlzeiten sind da einfach irre! Alle Kinder sitzen zusammen an einem Tisch, der wie ein Halbmond aussieht. Ich habe einen extra Stuhl gekriegt, nachdem ich beim ersten Mal versucht habe mich unbemerkt an das Essen der Anderen ran zu machen. Auch, wenn ich so subtil war und in eine ganz andere Richtung geguckt habe, um alle zu täuschen, haben die Erzieherinnen es leider bemerkt und meinten ich darf das Essen der andern Kindern aufgrund meiner Allergien nicht essen. Seitdem sitze ich ganz königlich auf meinem eigenen Stuhl mit Tablett, der ganz ähnlich aussieht, wie der  zuhause. Dann geht es los. Alle Kinder sind schon gespannt, was aufgetischt wird. Ich auch, und wie… Ich meine, wie es aufgetischt wird. Denn stellt euch vor, die Kinder essen da aus Glasschüsseln! Total irre! Schüsseln liebe ich ja schon seit Langem und dann sind sie noch aus Glas… Glas! Durchsichtig, glänzend, rundlich, glatt, warm und kalt zugleich, wie geil ist das denn?!!! Beim ersten Mal konnte ich mein Glück gar nicht fassen, habe die Glasschüssel gleich geleert und in meine Arme geschlossen. Ans Essen war da gar nicht zu denken. Gegen das Glas kommt ja doch keine Kartoffel ran, könnt ihr euch vielleicht vorstellen. Tja, jetzt werde ich gefüttert und Häppchen gibt es direkt aufs Tablett… Manchmal kriege ich da noch so einen Plastikteller zu Gesicht aber jedes Mal, wenn ich gerade anfange damit zu spielen, wird der mir weggenommen und die meinen, ich soll mich wieder aufs Essen konzentrieren. Die Erwachsenen können echt ganz schön borniert sein, wenn es darum geht, wie manche Sachen gemacht werden sollen… Wirklich, wenn sie sich einmal in den Kopf gesetzt haben, wie man etwas macht, dann ist es echt schwierig und oft gar unmöglich sie davon zu überzeugen, dass man es auch anders machen könnte.

Nach der Krippe

Aber gut, jetzt bin ich selbst ein erwachsenes Kind und kann die Welt ja ändern. Die Krippe ist schon mal ein guter Anfang. Wenn ich da schon ganz, ganz, ganz erwachsen geworden bin, gibt es Glasschüsseln für alle und Mama rund um die Uhr!

Was Mama über die Kita-Suche schreibt könnt ihr in dem Artikel Kindergarten mit Behinderung nachlesen.

Rollentausch

Papa zieht Emil an. Auch wenn er das selbst schon längst kann, will er immer wieder von Mama oder Papa angezogen werden.

„Oder willst du uns vielleicht anziehen?“, schlägt Papa vor. „Wir könnten doch ein Mal alles umdrehen. Morgens rufen wir dich laut: Emil! Emil! Dann rennst du zu uns ins Zimmer und dann holst uns aus der Küche Getränke. Kaffee vorzugsweise. Dann ziehst du uns an, machst uns Frühstück, putzt uns die Zähne, kämmst uns, machst uns fertig für die Arbeit, fährst uns mit dem Auto dahin. Wenn wir schon auf Arbeit sind, dann fährst du zurück nach Hause, räumst auf, machst die Wäsche….“

Emil fängt an zu weinen: „Papa, jetzt hör auf! Das ist gar nicht lustig!!!“

Yeti beruflich

Mama, Papa, Hela, Emil, Oma und Opa sitzen mittags auf einer Aussichtsterrasse hoch in den Bergen. Um uns herum ragen in den Himmel die bereits schneebedeckten 1000-er und 2000-er. Opa erzählt Emil von dem Schneemenschen – Yeti. Emil versucht ihn mit seinem Fernglas zu erspähen.
„Und, hast du ihn entdeckt?“, fragt Opa.
„Nein, der ist nicht da. Der hatte bestimmt Nachtschicht und schläft jetzt.“
„Ach so? Und was macht der Yeti so beruflich?“, will der Opa wissen.
„Ich glaube, der kann ein bisschen stricken“, antwortet Emil mit voller Überzeugung.

Ein Fernglass, mit dem man angeblich auch im Flachland den Yeti sichten kann

Wahrscheinlichkeit ein behindertes Kind zu bekommen

Manche Eltern beschäftigt das Thema mehr, manche weniger. Konfrontiert werden mit ihm alle, die ein Kind erwarten – spätestens wenn man sich für oder gegen die Nackenfaltenmessung und sonstige Pränataldiagnostik entscheiden muss. Ich habe mir die Frage nach der Wahrscheinlichkeit ein behindertes Kind zu bekommen nie gestellt… Hätte ich es tun sollen?

Im Jahre 1997 fiel auf ein japanisches Fischerboot, das sich im Ochotskischen Meer befand, eine Kuh vom Himmel. Das Fischerboot wurde komplett zerstört, die Fischer konnten gerettet werden. Allerdings wurden sie erst mal verhaftet, denn die Geschichte von der fliegenden Kuh hat man ihnen nicht abgenommen. Spätere Ermittlungen ergaben, dass dies die Wahrheit war. Eine Gruppe von russischen Soldaten hat versucht, eine Kuhherde zu stehlen und sie anschließend mit einem Transportflugzeug wegzuschaffen. Die Kühe wurden bei dem Flug unruhig und haben wohl angefangen zu randalieren. Damit das ganze Flugzeug nicht abstürzt, haben die Soldaten die große Heckklappe aufgemacht und die Kühe ausgetrieben. Es regnete Kühe über dem Ochotskischen Meer. Eine von ihnen landete auf dem Fischerboot.

Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit ein behindertes Kind zu bekommen

Eine Kuh da, wo sie hingehört

Ein Boot auf dem Meer. Kein Riesenfrachter – ein Fischerboot auf einem See mit der Fläche von 1,53 Millionen km2. Die Kuh fällt nicht 2 Meter neben dem Boot. Nein, sie prallt  direkt darauf.

Nun stellt sich die Frage, wie wahrscheinlich ist es, dass man in einem kleinen Fischerboot sitzend von einer vom Himmel fallenden Kuh getroffen wird? Es ist nicht sehr wahrscheinlich. Würde man die Wahrscheinlichkeit ausrechnen wollen, kann ich mir vorstellen (denn ausrechnen kann ich es nicht), dass dabei eine Zahl herauskommen würde, bei der sowohl vor als auch nach dem Komma erst ein paar Nullen stünden.

Für die Bootsinsassen änderte die Wahrscheinlichkeitsrechnung jedoch nichts. Wenn eine Kuh im Anflug ist, sind nur zwei Möglichkeiten relevant: entweder sitzt man in dem Boot oder man ist woanders. 0 oder 1, wenn man es mit Zahlen ausdrücken will.

An diese Geschichte musste ich denken, als ich neulich im Café ein Gespräch von zwei Frauen überhört habe. Offensichtlich hatten beide kleine Kinder und redeten über weitere Familienplanung. „Bei uns ist jetzt Schluss“, meinte die eine. „Ich bin jetzt schon 35, wenn ich jetzt noch mal schwanger werden sollte… Ich habe einen Down-Syndrom-Fall in der nächsten Familie. Das Risiko muss ich nicht haben.“

Die Aussage war nicht besonders rücksichtsvoll, zumal am Tisch direkt daneben eine Schwangere saß, die ihren 30 Geburtstag vermutlich schon längst hinter sich hatte und das ganze Gespräch in einer Lautstärke geführt wurde, die nur als Einladung zum Mithören gemeint sein konnte. Zwei Tische weiter saß ich, Mutter eines behinderten Kindes.

Wahrscheinlichkeit ein behindertes Kind zu bekommen

Ein Fischerboot, womöglich kurz vor einem Kuhaufprall

Ich musste an die Geschichte mit der Kuh denken, denn als wir die Diagnose ‚Angelman Syndrom‘ für unsere damals 11 Monate alte Tochter bekommen haben, hat es sich angefühlt, als säßen wir in diesem Fischerboot auf das die Kuh vom Himmel gefallen ist. Monatelang haben wir daran geglaubt ein gesundes, normales, nicht behindertes Kind zu haben. Die Probleme, die bis dahin aufgetreten sind, waren nicht wirklich ungewöhnlich für Kinder dieses Alters. So kam es, dass wir an einem Tag noch ein sich langsam entwickelndes aber „normales“ Kind hatten und wenige Tage später, nach einigen Untersuchungen im Krankenhaus, ein schwerbehindertes. Es kam mir total unwahrscheinlich vor und in den Monaten danach wartete ich verzweifelt darauf, dass ich bitte endlich aus diesem bescheuerten Alptraum aufwache!

Die Wahrscheinlichkeit, dass wir ein behindertes Kind bekommen, so hat uns die Humangenetikerin später erklärt, lag genau wie bei allen anderen gesunden und nicht familiär vorbelasteten Paaren bei 3 %. Sie meinte, es wäre gar nicht so wenig. Hätte mich vor der Geburt unserer Tochter jemand gefragt, würde ich dazu sagen: 97 % der Kinder kommen unbehindert zur Welt.

Seit der Diagnose weiß ich, dass Wahrscheinlichkeiten nur etwas für Finanzanalysten und Krankenkassen sind. Und für Menschen, die daran glauben, dass solche Zahlen Ihnen Kontrolle über das eigene Leben geben können. Das Leben macht trotzdem immer was es will, egal in welche Zahlen die Menschen es schmücken. Es kommt, wie es kommt, unabhängig davon wie viele Statistiken man vorher studiert hat. Entscheidet man sich für ein Kind, muss man damit rechnen, dass es anders wird, als man sich das vorgestellt hat. Ist es ein Grund, sich gegen Kinderkriegen zu entscheiden?

Sind 3 % ein geringes Risiko oder „gar nicht so wenig“? Wie viel Prozent ist nicht mehr vertretbar? Wie anders darf das Kind sein?

Es gibt so viele Familien, in denen Kinder nicht den „richtigen“, sprich den von den Eltern gewünschten Lebensweg, einschlagen. Sie haben nicht den richtigen Beruf, nicht die richtige sexuelle Orientierung, falsche religiöse Ansichten, den falschen Mann/die falsche Frau an ihrer Seite, falsche politische Ansichten. Ist das ein Grund um sich gegen Kinderkriegen zu entscheiden? Ein Grund, um diese Kinder weniger zu lieben?

Kinder und das Leben mit ihnen werden in aller Regel anders, als man sich das vorgestellt hat. Wäre die Menschheit glücklicher, wenn alle Kinder genauso sein würden, wie sich das deren Eltern ausgemalt haben? Die Wahrscheinlichkeit, dass dies je eintritt, kann selbst ich, mathematisch minderbemittelt (zum großen Bedauern von meinem Vater), ausrechnen. Sie beträgt 0 %.