Was ihr hier seht, ist weder eine Kunstinstallation noch eine Aufnahme aus einer Disco. Es ist das Blaulicht eines Krankenwagens vor unserem Balkon. Diesmal leuchtete es nicht für uns, sondern für unsere Nachbarn.
Siebenmal hat uns der Rettungswagen letztes Jahr ins Krankenhaus gebracht. Jedes Mal war unsere Hela in einem elenden Zustand. Fast jedes Mal musste unser Sohn miterleben, wie seine komatöse Schwester und seine erschrockene Mama in dem Rettungswagen verschwanden und wegfuhren. Die Blaulichtfahrten hatten wir immer der Epilepsie in Verbindung mit diversen, teilweise schweren Infekten zu verdanken, mit einer einzigen Ausnahme von akuter Atemnot bei einer Bronchitis. Was Hela über die spektakulärste Krampfepisode geschrieben hat, könnt ihr hier nachlesen.
Ich kann mich erinnern, wie ich wochenlang meinen Klinikkoffer vor dem Entbindungstermin unseres Sohns gepackt habe. Der Inhalt wurde zwei oder gar dreimal mit den Check-Listen aus dem Schwangerschaftsbuch und aus dem Internet abgeglichen. Alles hatte seinen Platz, seine Richtigkeit und lag sorgfältig zusammengefaltet im Koffer in Erwartung auf den großen Tag. Dann muss ich daran denken, wie ich vor der ersten Fahrt mit dem Krankenwagen alles, was ich im Panikzustand für notwendig hielt, chaotisch in die Wickeltasche reingeworfen habe und wie sich nach dem zweiten, dritten, vierten Krankenhausaufenthalt mit unserer Tochter die neue Klinik-Checkliste in meinen Kopf eingebrannt hat. Irgendwann mal waren ich und der Papa imstande innerhalb von 3-5 Minuten die Kliniktasche für mich und das Kind einwandfrei zu packen. Die Klinikpyjamas lagen ja schon bereit im Schrank und beim Drogeriebesuch nahm ich die kleinen Proben, nicht um ein neues, tolles Körperpflegeprodukt zu finden, sondern weil die Dinge beim nächsten Krankenhausaufenthalt so praktisch sein würden. Irgendwann mal hieß es in der Bereitschaft zu leben. In dem Wissen, dass die nächste Katastrophe wahrscheinlich bereits vor der Tür steht. Keine langfristigen Pläne, jede Minute von der krankenhausfreien Zeit bestmöglich nutzen, um das Nötigste vor dem nächsten Klinikaufenthalt zu erledigen. Bloß nicht wehmütig werden. Bloß nicht zu viel nachdenken. In Bereitschaft bleiben.
Heute feiern wir ein Jahr ohne Krankenhaus. Das Blaulicht leuchtet nicht für uns. Hela ist aus ihren Klinikpyjamas ausgewachsen, mein Klinikpyjama habe ich entsorgt. Trotzdem schlägt mein Herz jedes Mal schneller, wenn ich das Martinshorn höre. Obwohl schon ein Jahr vergangen ist (und damit bald ein Fünftel des Lebens von unserem Sohn), meinte neulich Emil zu uns, als wir einen anderen Weg als sonst zu seiner Kita gefahren sind: „Ja, den Weg kenne ich schon. Den sind wir doch immer zum Krankenhaus gefahren, als Hela nicht atmen konnte.“ (Tatsächlich gab es zu dieser Zeit eine Umfahrung, die man auf dem Weg zur Klinik immer nehmen musste). Die Unruhe bleibt, denn wir können nie sicher sein, was die Epilepsie mit unserer Tochter noch vor hat. Scheinbar haben wir die Anfälle momentan im Griff und doch wissen wir, dass sich dies ganz schnell ändern kann.
Ich weiß nicht, ob dieser Beitrag je von einem Rettungssanitäter oder einem Notarzt gelesen wird. Trotzdem möchte ich an dieser Stelle anmerken, wie dankbar ich jedes Mal dafür war, dass der Rettungswagen innerhalb von wenigen Minuten kam. Das Wissen, dass man nicht allein gelassen wird, dass professionelle Abhilfe schnell kommt und dass man sich darauf verlassen kann, dass sie kommt, macht das Ganze zwar nicht einfach aber doch viel einfacher zu ertragen. Was bei uns zulande für selbstverständlich gilt, ist in vielen Teilen der Welt ein Luxus. Wie ist es, wenn der Krankenwagen über eine Stunde für die Anfahrt braucht, weil es einfach viel zu wenige Rettungswagen und Rettungsteams gibt? Wie ist es, wenn man ein Kind in schwerem Zustand selbst ins Krankenhaus fahren muss? Oder was macht man, wenn es weder ein Krankenhaus noch einen Arzt in der Nähe gibt? In diesem Sinne: DANKE!!! Ich hoffe wir sehen uns nie wieder.