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Folter des Alltags – Körperpflege? Nein, danke!

Hela ist fast zwei und hat das Angelman Syndrom. Während gleichaltrige durch die Spielwiesen hopsen, widmet sie sich lieber scharfsinnigen Beobachtungen und stellt sich unerschrocken diversen Fragen philosophischer Natur. Könnte sie sprechen, würde sie möglicherweise das hier über die Körpferpflege sagen…

Ich liebe meine Eltern. Sie sind wirklich tolle und engagierte Eltern. Aber es gibt Tage, da würde ich am liebsten einfach in meinen Buggy einsteigen und wegfahren. Egal wohin, Hauptsache weg! Weg!!! Manchmal kommen Mutter und Vater nämlich auf solche Ideen, dass ich den ernsthaften Verdacht habe, sie haben ihre Elternausbildung in Guantanamo absolviert. Ehrlich.

Vor Monaten kamen sie zum Beispiel auf die Idee, mir ein haariges Stück Plastik mit wechselnd ekelhaftem Geschmack in den Mund zu stecken. Ich glaube, sie versuchen sich damit zu meinen Augen durchzubohren. Und das morgens UND abends! Das ist aber noch nicht alles, denn mehrmals pro Woche erlebe ich so etwas wie eine simulierte Hinrichtung. Da kommt meine Mutter mit einer kleinen silbern glänzenden Schere, hält meine Hand ganz fest und tut sie so als würde sie jeden Finger einzeln abschneiden wollen. Klack… klack… klack…. Jedes Mal denke ich ein Finger fällt gleich zu Boden. Das ist noch nie passiert und ich denke nicht, dass mir meine Mutter je was Böses antun könnte. Nur verstehe ich nicht, wozu der ganze Gruselspektakel. Ihre Erklärungen klingen nicht wirklich überzeugend. Manchmal macht sie das auch mit meinen Füßen.

Körperpflege bei einem behinderten Kind
Die Folterinstrumente

Aber am schlimmsten erwischt es einen, wenn man krank ist und sich eigentlich nichts sehnlicher wünscht, als einfach in Ruhe gelassen zu werden. Da werden meine Eltern richtig böse.

Als allererstes am Tag kommt da das Waterboarding mit Medikamenten. Egal wie auch immer ich meinen Kopf wegdrehe, das Elternduo kriegt dieses absolut grauenvoll schmeckende, klebrige Zeug in meinen Mund rein und ich muss es schlucken. Abends noch mal das Gleiche. Mehrmals am Tag wird mein Körper mit Gegenständen traktiert. Ins Ohr stecken sie mir eine Keule, die sie als Fieberthermometer bezeichnen. Die piept mitten im Kopf so laut, dass man wirklich denkt, der ganze Kopf zersplittert gleich in tausend Einzelteile. In die Nase wird mir eine Meerwasserkanone gesteckt und abgefeuert.

Ab und zu mal, wenn ich einen besonders lästigen Schnupfen habe, versuchen meine Eltern mir offensichtlich mein Gehirn über die Nase herauszusaugen – sie nennen das „die Nase frei machen“. Dazu kommt eine „Saugbirne“ zum Einsatz. Ich war in der Apotheke, als meine Mama sie gekauft hat. Was war ich froh, dass sie sich für dieses Modell entschieden hat und nicht für den Aufsatz, den man an einen Staubsauger (!) anschließt. Im Ernst, Leute, wer denkt sich so etwas aus? Und seit wann werden Folterinstrumente in der Apotheke verkauft?!

Wobei da muss man ganz klar sagen, dass Medizin so einiges auf Lager hat, was mich vollkommen aus der Fassung bringt. Die machen manchmal mit einem Sachen… Und die sollen einem gut tun. Generell staune ich immer wieder darüber, was die Erwachsenen darunter verstehen – also unter „gut tun“. „Das wird dir gut tun“ klingt nach jeder Menge Ärger. Da muss man immer Ekelhaftes trinken oder essen oder auch unangenehme Sachen machen. Manchmal tut es einem wirklich gut, meistens ist es aber verdammt anstrengend.

Nehmen wir zum Beispiel meine Mutter. Sie geht seit Neustem wieder joggen. Angeblich soll das einem sehr gut tun. Ihr solltet mal sehen in welchem Zustand sie nach Hause kommt. Schweißgebadet, mit rot-weißen Flecken im Gesicht, keuchend… Ich mache mir Sorgen um sie, denn sie sieht aus, als stünde sie kurz vor einem Kollaps. Und dann stöhnt sie mit einer abgequälten Stimme: „Oh Mann, das hat gut getan…“.

Was soll man dazu sagen. Ich finde, es muss einem nicht immer gut gehen. Manchmal ist es schön, wenn es einem ganz normal geht. Und man muss dafür nichts tun – also weder Sachen machen, die einem gut tun, noch Sachen meiden, die einem nicht gut tun. Mit andern Worten, man konzentriert sich auf Sachen, die mit einem absolut NICHTS tun. So eine Art Alltags-Nirwana.